Arbeitswelt

Eine Familie: Felicitas Kirchheim und ihr Vater Klaus in der Produktion des Familienunternehmens.

Foto: Daniel Heitmueller

Alles für die Familie

Die nass magnet GmbH, ein Hersteller für Magnetventile in Hannover, blickt dieses Jahr auf 100 Jahre Firmengeschichte zurück. Geschäftsführer Klaus Kirchheim und seine Tochter Felicitas, Nachkommen eines Gründers, erinnern sich an ihre Anfänge bei nass magnet.

Von Isabel Link

Präzision mit Tradition: Die nass magnet GmbH geht auf zwei Firmen zurück, die sich mit Feinmechanik und Elektrizität beschäftigten.

Foto: Daniel Heitmueller

Felicitas Kirchheim ist mit der nass magnet GmbH aufgewachsen. »Wenn wir abends als Familie zum Essen zusammenkamen, dann saß die Firma immer mit am Tisch, fast wie ein drittes Kind«, sagt sie und lächelt. Ihr Vater Klaus Kirchheim widerspricht: »Meine Kinder waren mir immer wichtiger als die Firma.« Und das stimmt. In zwölf Jahren hat er nur einen Leichtathletik-Wettkampf seiner Tochter verpasst. Dennoch spielte nass magnet in beiden Leben stets eine große Rolle. Seit über 25 Jahren ist Klaus Kirchheim Teil der Geschäftsführung. Anfang 2024 stieg Felicitas in Vollzeit beim hannoverschen Magnetventil-Hersteller ein, übernahm die Bereiche Unternehmenskommunikation und Unternehmenskultur und bereitet sich darauf vor, das Unternehmen als fünfte Generation mit in die Zukunft zu führen.

Zwei Anfänge, eine Geschichte

Die Geschichte von nass magnet begann vor 100 Jahren an zwei Orten: 1925 gründete Wilhelm Nass in Hannover einen Feinmechanikbetrieb, der sich bald auf Präzisionsteile spe­zia­lisierte. Zeitgleich wurde in Stuttgart August Hofmann geschäftsführender Gesellschafter der Concordia Maschinen & Elektrizitätsgesellschaft, die Deutschlands erste Hochleistungssicherung entwickelte.

Beide Unternehmen wuchsen, trotz der Rückschläge im Zweiten Weltkrieg, und entwickelten Innovationen, die vor allem in der aufstrebenden deutschen Automobilindustrie gefragt waren: Gleichstrom- und Wechselstrom-Magnete in Hannover, Automatisierungstechnik in Stuttgart. Mitte der Siebziger geriet die Wilhelm Nass KG jedoch in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Umfangreiche Investitionen in Automatisierung waren nötig, um die hohe Nachfrage nach ihren System-Baugruppen bedienen zu können. Aber die Transformation war für das Unternehmen allein nicht zu stemmen. Also stieg der bisherige Kunde aus Stuttgart, der mittlerweile als Kirchheim KG firmiert, ins Unternehmen ein. Erst als Konsortialpartner, später einigte man sich auf eine komplette Firmenübernahme.

Prominenter Gast: Für Alt-Ministerpräsident Stephan Weil (l.) war die Jubiläumsfeier einer der letzten Termine in seiner Amtszeit.

Rückblick: Felicitas Kirchheim moderiert die Jubiläumsfeier.

Fotos (2): Kevin Münkel

Rettung in letzter Minute

20 Jahre später bemerkte Klaus Kirchheim, Urenkel von Hofmann und einer der Gesellschafter, bei einem Werksbesuch, dass die Lage der Firma schlechter war als bisher berichtet worden war: »Auf den als besonders wertvoll bilanzierten Produkten lag eine dicke Staubschicht und am K15, dem Bauteil, das wieder Umsatz bringen sollte, forschte die Entwicklungsabteilung seit Jahrzehnten ohne nennenswerte Erfolge.« Da entschied Kirchheim, als Geschäftsführer bei nass magnet einzusteigen. »Mein damaliger Job als Manager einer Mannesmann-Gesellschaft hat mir zwar Spaß gemacht und war gut bezahlt, aber zuzusehen, wie das Unternehmen meines Großvaters pleitegeht, kam für mich nicht infrage.«

Der damalige Geschäftsführer war wenig begeistert, künftig mit einem erfahrenen Manager aus der Gründerfamilie zusammenzuarbeiten. Kirchheims erste zweieinhalb Jahre waren somit von Machtkämpfen geprägt, doch er blieb hartnäckig. Schließlich war es der vorherige Geschäftsführer, der gehen musste. »Im ersten Moment dachte ich: Jetzt räumst du hier auf und wirfst die ganzen Günstlinge raus«, gibt Kirchheim zu. »Zum Glück kam direkt der zweite Gedanke: Wenn du das tust, bist du nicht anders als dein Vorgänger.«

Kirchheim ging den entgegengesetzten Weg: Er verkündete den damals rund 200 Mitarbeitenden, dass niemand um seinen Arbeitsplatz fürchten müsse, sofern er kompetent sei und bereit, sich für den Erfolg des Unternehmens einzusetzen. »Ich habe niemanden gekündigt, aber viele sind aus freien Stücken gegangen, weil sie mit der neuen, partizipativen Führungskultur nicht einverstanden waren.«

Fotos: Daniel Heitmueller

»Ich will nass magnet mitführen, weil ich es kann, nicht weil es das Unternehmen meiner Familie ist.«

Felicitas Kirchheim

Von totalitär zu familiär

Heute ist von dem autoritären und hierarchischen Denken der früheren Ära nichts mehr zu spüren. Bei nass magnet steht nicht nur Familie drauf, es steckt auch Familie drin. Durch alle Ebenen ist der Ton locker und wertschätzend, Engagement und Kompetenz werden gesehen und gefördert. Nachwuchs­probleme kennt das Unternehmen nicht: Durch gezielte Ansprache in den sozialen Medien und eine moderne Arbeits- und Führungskultur bewerben sich viele Talente. »Wir haben über die Jahre eine authentische, familiäre Unternehmenskultur entwickelt, die sich gerade in Zeiten des Fachkräftemangels als unsere größte Stärke erweist«, sagt Felicitas Kirchheim. »Darauf können wir stolz sein.«

Das Familienunternehmen spielte in ihrer Jugend nicht nur am Abendbrottisch eine Rolle. In den Schulferien verdiente Felicitas Kirchheim sich ihr Taschengeld bei nass magnet, als Studentin der Business Administration arbeitete sie nebenbei in der Personalabteilung und schrieb ihre Bachelorarbeit über das Werk in Ungarn. Thema: Was erwarten junge Generationen von einem Arbeitgeber? »Früher waren Geld und Status enorm wichtig. Ob man Spaß bei der Arbeit hatte oder sich wertgeschätzt fühlte, war zweitrangig.« Das habe sich fundamental gewandelt: »Junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wollen eine Balance zwischen Arbeit und Leben. Das heißt nicht, dass sie faul sind – sie wollen nur, dass beides besser miteinander vereinbar ist.« Arbeit solle nicht nur Freude machen, sondern auch Sinn stiften und Möglichkeiten bieten, etwas zu bewegen.

Weggefährten: Georg Kreiner, Vorsitzender des nass magnet-Verwaltungsrats (l.) und Dr. Volker Schmidt, Haupt­geschäftsführer von IN-Metall, mit seiner Frau Wiebke Rosenbusch.

Foto: Kevin Münkel

Gute Gespräche: Klaus Kirchheim (l.) mit Alt-Ministerpräsident Stephan Weil und Felicitas Kirchheim

Foto: Kevin Münkel

»Wären sicher stolz auf uns«: Felicitas Kirchheim mit den Portraits der beiden Gründer

Foto: nass magnet

Neue Impulse aus der nächsten Generation

Mit diesen Erkenntnissen stieß Felicitas Kirchheim, selbst Teil der Generation Y, auch im Familienunternehmen neue Denkprozesse an. Bald war klar: Wenn nass magnet nicht nur in Zukunftstechnologien, sondern auch in die Menschen investieren will, die das Unternehmen tragen, muss jemand die richtigen Impulse setzen. »Den Bereich Unternehmenskommunikation und Kultur gab es vorher nicht, aber er wurde nicht geschaffen, nur damit ich einen Job habe. Geschäftsführung und Mitarbeitende sind gleichermaßen überzeugt, dass diese Arbeit wichtig für die Entwicklung der Firma ist«, betont sie. »Und ich muss mich auf dieser Position genauso beweisen wie jede andere Führungskraft auch.«

Während Klaus Kirchheim auf das Ende seiner Zeit als Geschäftsführer zusteuert, bereitet sich Felicitas darauf vor, in naher Zukunft selbst Teil der Geschäftsführung zu werden. Es gibt einen Fünf-Jahres-Plan, der sie Schritt für Schritt zur Verantwortlichen für Kommunikation, Marketing und Personal entwickeln soll. Doch sie verlässt sich auf das Urteil des Aufsichtsrats. Sollten diese 2029 zu dem Schluss kommen, dass sie noch nicht soweit ist, will sie weiter lernen: »Ich will nass magnet mit führen, weil ich es kann, und nicht, weil meine Familie es gegründet hat«, betont sie.

Das 100-jährige Firmenjubiläum feierte nass magnet mit einem zweitägigen Fest, zu dem Angestellte und zahlreiche Weggefährten eingeladen waren. Felicitas übernahm die Orga­nisation und Moderation, und beim Blick auf die beiden überlebensgroßen Gründerporträts dachte sie: »Wenn sie sehen könnten, dass ihr Lebenswerk noch existiert sie wären sicher stolz auf uns.«