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Wirtschaft und Verteidigung

Braucht Deutschland wieder eine Dienstpflicht?

Die Bundesrepublik diskutiert über ein zentrales Reformvorhaben: Sollen junge Männer wieder verpflichtet werden, Dienst an der Waffe zu leisten? Ist die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands anders nicht zu sichern? Brauchen wir gar eine allgemeine Dienstpflicht? Die Rundblick-Redaktion streitet darüber in einem Pro und Contra.

Rundblick-Redaktion

PRO: Deutschland diskutiert über Verteidigung, aber organisiert sie nicht. Eine allgemeine Dienstpflicht könnte helfen, die strukturelle Distanz zur Bundeswehr zu über­winden, meint Christian Wilhelm Link.

PRO

Verteidigungsminister Boris Pistorius versucht die sicherheitspolitische Lücke mit einem Wehrdienstmodell zu schließen, das Pflicht nur andeutet, aber nicht durchzieht. Jungen Männern soll ein verpflichtender Fragebogen zugeschickt werden, mit dem Daten zur körperlichen Eignung und zu fachlichen Kenntnissen erhoben werden. Frauen können sich auf freiwilliger Basis ebenfalls registrieren. Wer als tauglich gilt, kann für einen sechsmonatigen Dienst eingezogen werden, erste Einberufungen soll es frühestens ab 2026 geben. Reserveübungen sind weiterhin freiwillig. Ambitioniert klingt der Gesetzesentwurf der Bundesregierung von Ende August allen­falls im Vergleich zum Stillstand der vergangenen Jahre. Tatsächlich aber bleibt es weit hinter dem zurück, was nötig wäre.

Denn sechs Monate Dienstzeit sind kein Beitrag zur Wehrfähigkeit, sondern ein Praktikum mit Aussicht auf Vertragsverlängerung. Wer glaubt, das reiche aus, um Deutschland verteidigungsfähig zu machen, verkennt die Lage. Russland rüstet sich bereits für neue Konflikte; die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik hält einen Angriff auf das Baltikum ab 2027 für realistisch. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob Deutschland kriegstüchtig werden muss, sondern ob es rechtzeitig gelingt, um den nächsten russischen ­Angriff auf Europa zu verhindern.

»Man kann viel über Zeitenwenden reden. Oder man beginnt damit, neue Grundlagen zu legen.«

Eine einmalige Grundausbildung reicht dafür nicht. Wer junge Menschen ein halbes Jahr schult und sie danach aus dem System entlässt, kann sich auf viel Symbolkraft berufen, aber nicht auf echte Einsatzbereitschaft. Ohne verpflichtende ­Reserveübungen, ohne Wiederholungskurse und ohne strukturiertes Nachfassen bleibt die Wehrpflicht ein Placebo.

Hinzu kommt: Der Krieg hat längst begonnen. Nicht mit Truppen, sondern mit Trojanern. Russland und China führen einen hybriden Konflikt gegen den Westen über Hackerangriffe, Sabotage, digitale Spionage und gesteuerte Desinformation. Deutschland ist betroffen, aber kaum vorbereitet. Die Bundeswehr braucht längst mehr als klassische Kampftruppen. Sie braucht IT-Fachleute, Datenanalysten, elektronische Aufklärer, psychologische Abwehrkräfte; Menschen, die sich in digitaler Kriegsführung auskennen und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

Und dann ist da noch die Frage, wer das alles überhaupt organisieren soll. Die früher flächendeckenden Kreiswehr­ersatzämter zuständig für Musterung und Einberufung wurden abgeschafft. Eine Nachfolgestruktur existiert bis heute nicht. Man kann viel über Zeitenwenden reden. Oder man beginnt damit, neue Grundlagen zu legen: für eine Bundeswehr, die die Verteidigung des Landes wieder gewährleisten kann, und für eine Reserve, die mehr ist als reine Statistik.


CONTRA: Die Bundeswehr sollte die Potenziale der Generation Z nutzen, um sich als moderne Frei­willigenarmee und attraktiver Arbeitgeber weiterzuentwickeln, meint Anne Beelte-Altwig.

Contra

Mit 18 dachte man vielleicht, bei der Bundeswehr nur seine­ Lebenszeit zu verschwenden. Mittlerweile hat sich die Welt verändert. Heute, im mittleren oder fortgeschrittenen Lebensalter vielleicht, kann man durchaus auf die Idee kommen: So schlecht ist es gar nicht, wenn mehr Menschen in der Lage sind, Deutschland zu verteidigen. Nur: Die ­allermeisten, die jetzt fordern, die Wehrpflicht wiedereinzusetzen, werden selbst keine Waffe in die Hand nehmen müssen. Diese Last der jungen Generation aufzubürden, der wir schon ein unberechenbar gewordenes Klima, die Pflege und den Unterhalt einer Übermacht von Rentnern hinterlassen, ist einfach unfair.

Die Generation Z stellt Selbstverständlichkeiten in Frage, und das ist gut so. Wenn im Betrieb bisher die Lehrlinge die Werkstatt gefegt haben: Wer sagt, dass es immer so sein muss? Als gesuchte Nachwuchskräfte treten Jugendliche selbstbewusst auf und stellen Fragen nach dem Sinn. Bereits jetzt hat die Generation Z die Arbeitswelt verändert. Allerdings ist diese Generation auch angeschlagen: Ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen bräuchte psychotherapeutische Unterstützung. Im Netz sind sie Gewalt und Mobbing ausgesetzt. Viele von ihnen sitzen zu viel und bewegen sich zu wenig. Zu glauben, man könnte einfach dort weiter machen, wo man vor 14 Jahren aufgehört hat, und diese ­Jugendlichen körperlich und psychisch so fordern wie die Generationen davor, wäre naiv.

»Ein kurzer Pflichtwehrdienst wird nicht genügen, die Lücken zu schließen, die in einer langen Schulzeit offengeblieben sind.«

Die Generation Z zeigt allerdings auch, dass sie bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Statt ihr einen Wehrdienst überzustülpen, wie er in der Erinnerung oder Vorstellung von 50-Jährigen aussieht, sollte die Bundeswehr mit attraktiven Jobangeboten auf sie zukommen. Denn schließlich ist es ihre Zukunft in einer freien und demokratischen Gesellschaft, die es zu verteidigen gilt. Deswegen sollte die Bundeswehr die Ideen und Stärken dieser Generation nutzen, um sich weiterzuentwickeln als moderne Frei­willigenarmee und interessanter Arbeitgeber.

Unternehmen brauchen dringend Nachwuchs. Durch einen verpflichtenden Wehrdienst gehen ihnen diejenigen verloren, die hochmotiviert mit einer Ausbildung, einem Praktikum oder einem dualen Studium starten wollen. Andere Schulabsolventen sind noch nicht reif für eine Ausbildung. Handwerksbetriebe haben in diesem Jahr ein Drittel der Bewerber abgelehnt trotz großen Nachwuchsmangels. Für diese jungen Menschen könnte die Bundeswehr eine Chance sein. In einer gründlichen Ausbildung könnten sie dort die Soft Skills lernen, die sie für ihr späteres Berufsleben brauchen. Ein kurzer Pflichtwehrdienst jedoch wird nicht genügen, die Lücken zu schließen, die in einer langen Schulzeit offengeblieben sind. Denn auch diese ­Jugendlichen verdienen etwas Besseres.

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