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»Als Unternehmen profitieren wir von der Energie- und Zeitenwende«
Mathias Rusch
Gut gelagert
Gleitlager von Renk sorgen dafür, dass Schiffe fahren und Windräder sich drehen. Das Unternehmen aus Hannover ist globaler Marktführer für Antriebstechnologien und seit der Zeitenwende gefragter Partner der Rüstungsindustrie.
Würde man den Namen »Renk« nicht regelmäßig in der medialen Berichterstattung über Zeitenwende, Wiederaufrüstung oder erfolgreiche deutsche Rüstungswerte am Aktienmarkt lesen – zumindest in Hannover müsste das Unternehmen trotzdem jeder kennen. Denn die niedersächsische Dependance des Augsburger Panzergetriebe-Herstellers blickt an ihrem Standort nahe des Messegeländes auf eine lange Geschichte zurück, in der auch ein regelrechtes hannoversches Wahrzeichen entstand: Aus der 1792 als Gürtlerei Bernstorff gegründeten Firma wurde zunächst die Bildgießerei Bernstorff & Eichwede, die unter anderem das bekannte bronzene Ernst-August-Denkmal vor dem Hauptbahnhof Hannover gegossen hat, an dem sich die Menschen bis heute »unterm Schwanz« treffen. Ende des 19. Jahrhunderts wurde aus der früheren Gießerei schließlich das traditionsreiche Eisenwerk Wülfel, von dem das Unternehmen Renk 1975 die Produktbereiche Gleitlager und Kupplungen erwarb.
Vom Ernst-August-Denkmal zum Hightech-Antrieb
Renk ist heute ein weltweit agierender Technologiekonzern mit Standorten auf vier Kontinenten und Kunden in über 100 Ländern. Das Unternehmen gilt als Marktführer für sogenannte missionskritische Antriebstechnologien, insbesondere im Bereich Verteidigung, Marine und Energie. In Hannover liegt der Fokus auf einem hochspezialisierten Segment: der Entwicklung und Fertigung von Gleitlagern und Kupplungen. Sind diese Bauteile im Endprodukt, beispielsweise einem Schiff, auch nicht sichtbar, so sind sie doch entscheidend. Sorgen sie doch dafür, dass sich riesige Antriebswellen reibungsarm und zuverlässig drehen – und sich etwa ein Schiff bewegt.
Antriebstechnik in XXL – Präzision für extreme Einsätze
370 Mitarbeiter arbeiten inzwischen in Hannover bei einem wichtigen Segment der Renk Group AG. Die hier produzierten Gleitlager und Kupplungen finden sich in U-Booten, Fregatten und Kreuzfahrtschiffen, genauso wie in Windkraftanlagen, Generatoren oder Wasserkraftwerken. Auch in Kühlpumpen sind Lager aus Hannover verbaut – horizontal und vertikal. »Als Unternehmen profitieren wir von der Energie- und Zeitenwende«, sagt Renk-Gleitlager-CEO Mathias Rusch. Der 56-Jährige ist seit knapp zwei Jahren in Hannover – und hat ein Faible für Antriebstechnik – ganz gleich, ob zu Wasser, zu Lande oder in der Luft. Denn bevor der Maschinenbauingenieur den Posten in der Landeshauptstadt übernahm, war er in ähnlicher technischer Mission unterwegs, unter anderem bei HDW, MTU, der Deutschen Bahn und SKF Marine.
Die Bedeutung der in Hannover hergestellten Bauteile zeigt sich eindrucksvoll bei einem Rundgang durch die Fertigungshallen: Was zunächst aussieht wie überdimensionierte Edelstahlringe, wird hier zu Antriebslagern für Marine-Schiffe und konventionelle U-Boote, Lagern für Propellergondeln von Kreuzfahrtschiffen oder E-Lager für Generatoren und Windkraftanlagen. Dass diese Bauteile schnell mal die Ausmaße eines Gartenhäuschens haben können, lässt sich bei einem Blick in die Schubladen der Werkstattwagen erahnen: Ringschüssel groß wie Gartengeräte. Als hannoversches Masterpiece gilt bislang das Lager für einen Aufzug in einem kanadischen Untertagebergwerk mit einem Wellendurchmesser von 90 Zentimetern. Keine Frage: Die Dimensionen der Bauteile können enorm sein, die Anforderungen an sie aber auch, vor allem im Marineschiffbau. So zirkulieren in einem einzigen Lager zwischen 20 und 300 Liter Öl, auf dessen Film die Antriebswelle schwebt. Die Lagerschalen im Innern bestehen aus Zinnlegierungen, deren Zusammensetzung Renk als Betriebsgeheimnis wahrt.
Präzision im Großformat: Gleitlager aus Hannover halten Antriebswellen weltweit reibungslos in Bewegung.
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Fachwissen und Erfahrung: Renk-Mitarbeiter bauen Großlager für weltweite Hochtechnologie-Projekte.
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Leiter Industrial Engineering: Dr. Sebastian Kaiser überträgt Konstruktionen mit seinem Team präzise in die Fertigung.
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Manufaktur-Qualität trifft industrielle Serienfertigung
Gerade die Lager für U-Boot-Antriebe stellen hohe Anforderungen an Material, Toleranzen und Qualitätskontrollen. Vibrationen dürfen nicht übertragen werden, Verschleiß ist unerwünscht. Um die Funktion unter realitätsnahen Bedingungen zu testen, verfügt Renk in Hannover über einen eigenen Lagerprüfstand mit Neigungsfunktion – eine Besonderheit im Markt. Bei all dem liegt der Fokus auf Zuverlässigkeit und Langlebigkeit: Die Lager sollen über Jahrzehnte hinweg wartungsfrei funktionieren. Die Fertigung ist zweigeteilt: Während die E-Lager als Kerngeschäft im Baukastensystem gefertigt werden, erfordern kundenspezifische Sonderlager wie für die Marine ein höheres Maß an individueller Planung, spezieller Werkstoffe und viel Handarbeit. »Feilen und entgraten gehören genauso dazu wie hochpräzises Fräsen«, sagt Dr. Sebastian Kaiser, Leiter Industrial Engineering. Er sorgt mit seinem Team dafür, dass die Konstruktion auch präzise in die Fertigung übertragen wird. »Wir sind in vielen Bereichen auch eine Manufaktur.« Hohe Qualität der Produkte sei demnach auch der Markenkern des Standorts, wie Rusch sagt. »Fehler bei der Fertigung würden uns teuer zu stehen kommen. Ein einziges Bauteil kann schnell bis zu 20.000 Euro kosten. Wir stehen für höchste Präzision, es geht bei unseren Produkten mitunter um Tausendstel Millimeter.« Dieser Anspruch macht sich auch in der Haltung der Belegschaft bemerkbar: Fast alle Mitarbeiter tragen Renk-Shirts. Die Identifikation mit dem Unternehmen ist greifbar. Auch der sogenannte Renk-Standard ist Ausdruck dieses Selbstverständnisses – die Norm für Elektromaschinenlager (E-Lager) stammt ursprünglich aus dem Haus selbst. Über Jahrzehnte hat man sich hier eine technologische Führungsrolle erarbeitet – etwa bei Sonderlösungen für extreme Betriebsbedingungen wie bei Antrieben für Eisbrecher oder Grobwalzwerken.
Die internationale Präsenz ist dabei ein entscheidender Erfolgsfaktor. Renk betreibt neben seinen deutschen Standorten in Hannover, Rheine, Hamburg, Augsburg und Starnberg auch Produktions- und Vertriebsniederlassungen in den USA, Brasilien, einigen wesentlichen Kernländern Ostasiens, Indien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Diese strategisch gewählten Standorte sichern die Nähe zu Kunden in Schlüsselindustrien weltweit – vom maritimen Bereich bis zur Energieerzeugung. In Ländern wie Kanada, der Türkei oder Südkorea sind Renk-Komponenten längst Teil kritischer Infrastruktur. Das Unternehmen agiert nicht nur als Zulieferer, sondern als strategischer Partner für OEMs, Regierungen und Energieversorger weltweit.
Gib mal schnell den 60er Schlüssel: Für die Montage der XXL-Lager braucht es Spezialschlüssel groß wie Gartengeräte.
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Warum Renk für Bewerber plötzlich so spannend ist
Kein Wunder, dass der Bedarf an neuen Fachkräften auch in Hannover hoch ist. Gesucht werden vor allem Zerspaner, Facharbeiter und Ingenieure mit einem besonderen Sinn für Präzision. 15 Auszubildende absolvieren derzeit ihre Ausbildung bei Renk in Hannover. Lange war die Mitarbeitersuche ein klassisches Spiel aus Jobportalen und Stellenanzeigen. Doch seit dem erfolgreichen Börsengang von Renk hat sich das Bild gewandelt: Das Unternehmen ist als Arbeitgeber gefragter denn je. Es gibt viele Initiativbewerbungen – »viele Bewerber wollen aktiv an der Zeitenwende in der Verteidigungsindustrie mitwirken«, wie Rusch erklärt. Dabei punktet Renk nicht nur mit sicheren Jobs, sondern auch mit langfristigen Perspektiven.
Global präsent, lokal verwurzelt – und auf Wachstumskurs
Mit dem jährlichen Wachstum von rund zehn Prozent wandelt sich auch das Geschäftsmodell: Renk baut derzeit einen eigenen internationalen Kundenservice auf. Neben der Neufertigung gewinnen Überholung, Instandsetzung und technische Beratung für Kunden weltweit zunehmend an Bedeutung. Renk wird damit nicht nur zum Zulieferer, sondern mehr und mehr zum Partner im gesamten Lebenszyklus seiner Produkte. Für die langfristige Betreuung setzt das Unternehmen auf fachlich versierte Serviceteams und digitale Tools zur Zustandsüberwachung.
Ein Besuch in Hannover zeigt: Wer über Wertschöpfung, Qualität und industrielle Substanz in Niedersachsen spricht, kommt an diesem Standort nicht vorbei. Passend dazu steht im Herbst eine organisatorische Veränderung bevor: Die Gleitlager-Sparte wird aus der Renk GmbH ausgegliedert und künftig als eigenständige »Renk Bearings GmbH« firmieren. Was bleibt, ist der Anspruch: höchste Präzision, technologische Souveränität und ein klares Bekenntnis zu Verantwortung und Verlässlichkeit – lokal verwurzelt, global gefragt.
