Arbeitswelt

Foto: Fürstenberg / Roland Schmidt Fotografie Hannover

»Oftmals liegt das Besondere im Detail. In der Reinheit einer Form oder der Beschaffenheit einer Oberfläche.«

André Neiß

Porzellan ist Lebensfreude

Als Interimsmanager gekommen, verabschiedet­ als überzeugter Porzelliner: André Neiß ist in den Ruhestand gewechselt und hat die Geschäftsführung der Porzellan­manufaktur Fürstenberg in die Hände von Cornelia Abbe gelegt. Sie ist mit der Branche bestens vertraut und hat große Pläne für die Zukunft des Traditions­unternehmens an der Weser. Ein Doppelinterview.

Interview von Isabel Link

Zeitenwende: Cornelia Abbe (l.) hat im Frühling die Geschäftsführung der Porzellanmanufaktur Fürstenberg von André Neiß übernommen.

Foto: Henning Scheffen

Herr Neiß, aus ein paar Monaten Interimsgeschäftsführung sind mehr als vier Jahre geworden. Wie fühlt es sich an, Fürstenberg zu verlassen?

Neiß: Ich sage es ganz offen: Der Abschied fällt mir nicht leicht. Es hat mir großen Spaß gemacht, mit diesen engagierten Menschen zu arbeiten, die mit so viel Herzblut und Leidenschaft ihr Handwerk beherrschen. Wer einmal Teil dieser Welt war, der verlässt sie als überzeugter Porzelliner. Aber ich freue mich auch, jetzt wieder etwas Neues zu beginnen.

Wie kam es, dass Sie als ehemaliger Chef zweier Verkehrsbetriebe plötzlich eine Porzellan­manufaktur geleitet haben?

Neiß: Das war eine glückliche Fügung. Nach meinem Abschied von der Üstra hatte ich mich auf Interimsmanagement konzen­triert. Eigentlich wollte ich ein Projekt in Georgien übernehmen, aber dann kam Corona. Da erhielt ich einen Anruf, ob ich mir vorstellen könnte, Fürstenberg zu unterstützen. Ich sagte: Vorstellen kann ich mir alles. Dass daraus vier Jahre würden, das hätte selbst ich nicht gedacht. Als ich damals in der Betriebs­versammlung verkündet habe, dass ich doch länger als ein paar Monate bleibe, ist die Belegschaft aufgestanden und hat geklatscht. Ich bekomme immer noch Gänsehaut, wenn ich an diesen Moment denke.

Ein schönes Zeichen der Wertschätzung. Denn Sie sind 2021 in die Porzellanmanufaktur eingestiegen, als die Zukunft der beinahe 280 Jahre alten Traditionsmanufaktur auf der Kippe stand. 2017 ein Minus von knapp 4,2 Millionen Euro, ein strenger Sanierungsplan und der Gesellschafterwechsel von der Nord/LB in den Besitz einer Beteiligungsgesellschaft mit dem Land Niedersachsen als Hauptanteilseigner. Was für einen Betrieb hinterlassen Sie nun Ihrer Nachfolgerin?

Neiß: Das Unternehmen steht definitiv besser da als vor vier Jahren, aber die Herausforderungen sind weiterhin groß. Der Ukraine-Krieg hat uns leider einen Dämpfer gegeben, zehn Prozent unseres Umsatzes sind weggebrochen, weil wir nicht mehr nach Russland liefern. Dafür hatten wir uns schon bewusst entschieden, bevor die Sanktionen kamen. Um das Wachstum zu steigern, muss der Blick über den deutschen Teller­rand gehen.

Statement: Mit innovativen Designs, zeitgemäßer Tischkultur und außergewöhnlichen Objekten setzt die Traditionsmanufaktur neue Maßstäbe in der Porzellanproduktion.

Fotos (2): Henning Scheffen

Hier kommen Sie, Frau Abbe, ins Spiel. Als Leiterin der Abteilung für Marketing und Direktvertrieb in der Porzellan­manufaktur Meißen haben Sie in den vergangenen Jahren maßgeblich dazu beigetragen, dass der deutsche Platzhirsch unter den Porzellanherstellern seine Bekanntheit international weiter steigern konnte. Welche Aufgaben sehen Sie für Fürstenberg auf sich zukommen?

Abbe: Beim Bekanntheitsgrad der Marke besteht noch Luft nach oben. Fürstenberg hat tolle Menschen, einzigartige Produkte und eine großartige Geschichte. Das müssen wir noch stärker nach außen tragen. Für mich steht Fürstenberg für Moder­nität, Innovation und präzise Handarbeit. Hier werden die Grenzen von Porzellan immer wieder neu definiert.

Neiß: Genau darin liegt auch eine Herausforderung für die Vermarktung. Das Besondere an unseren Produkten steckt im Detail und offenbart sich manchmal erst auf den zweiten Blick. Ein Beispiel: die Entwicklung der DATUM French Press Kaffee­kanne hat uns viele graue Haare beschert. Denn damit sie funktioniert, muss die Form absolut gerade sein. Man braucht sehr viel Expertise, um eine perfekt zylindrische Form mit einem so divenhaften Material wie Porzellan zu erreichen.

Abbe: Unsere Mitarbeitenden verfügen über sehr viel Detail­wissen und Erfahrung, das häufig innerhalb der Familien weiter­gegeben wird. Porzelliner ist kein Beruf, sondern eine Berufung.

Neiß: Das kann ich bestätigen. Ich habe noch nie so viele ­Urkunden zum 40. Dienstjubiläum vergeben wie hier.

Nun ist mit Handarbeit gefertigtes Porzellan aus Deutschland ein Luxusgut. Kaffee trinken kann man auch aus einem IKEA-Becher …

Abbe: Richtig. Deshalb müssen wir mit unserem Porzellan das erreichen, was Hersteller von Luxus-Handtaschen und Luxus-Uhren­ schon erreicht haben: Wir müssen Begehrlichkeit wecken und es zu einem IT-Piece machen.

Mit Erfahrung & Gefühl: Die neue Geschäftsführerin Cornelia Abbe weiß, dass exklusives Porzellan Ausdruck von individueller Lebensart ist.

Fotos: Henning Scheffen

»Wir müssen Porzellan zu einem IT-Piece machen.«

Cornelia Abbe

Können Sie das näher erläutern?

Abbe: Menschen entscheiden sich dafür bestimmte Produkte zu kaufen, weil diese ihren Lebensstil und ihre Persönlichkeit widerspiegeln. Große Luxusmar­ken wie Hérmes, Dior oder Prada, aber auch Stanley, haben das schon sehr lange verstanden und in ihre Kommunikationsstrategie integriert. Sie zeigen eindrucksvoll, wie modernes Marketing insbesondere in den sozialen Medien funktioniert: Kunden wünschen sich eine emotionale Bindung zu ihren Produkten, wobei Geschichten rund um die Marke oder das Produkt eine zentrale Rolle spielen. Genau das müssen wir für Fürstenberg auch in den Fokus rücken.

Wie werden Sie das bei der Vermarktung von Fürstenberg umsetzen?

Abbe: Wir werden uns intensiv damit auseinandersetzen, wie wir die Marke Fürstenberg erlebbar machen können insbesondere im digitalen Raum. Dies ist vor allem dann entscheidend, wenn wir international neue Märkte erschließen möchten, da wir diese primär über den Online-Vertrieb erreichen. Es gilt, neue Marketing- und Vertriebskanäle zu identifizieren und innovative Formate zu entwickeln. Wir sind bereits auf sozialen Plattformen wie Facebook, Instagram und Pinterest aktiv und werden das erhebliche Potenzial für Wachstum und Differenzierung zukünftig stärker nutzen.

Vom Rokoko bis in die Moderne: Das Museum Schloss Fürstenberg zeigt, dass Porzellan nicht nur Geschirr ist, sondern auch immer ein Spiegel seiner Zeit.

Foto: Henning Scheffen

The Good Life: Die SIP OF GOLD Champagnerbecher von SIEGER by FÜRSTENBERG verbinden feinstes Porzellan mit glänzendem Edelmetall, das im Zusammenspiel mit einem Getränk Hunderte von Reflexionen erzeugt.

Foto: Henning Scheffen

1 2

Mit dem Fokus auf den digitalen Raum möchten Sie auch eine junge, lifestyle-affine Zielgruppe erreichen?

Abbe: Genau, insbesondere die jüngere Zielgruppe müssen wir gezielt ansprechen, wenn wir weiteres Wachstum erzielen möchten. Dabei stehen wir jedoch vor der Herausforderung, dass Porzellan in dieser Altersgruppe nicht mehr die gleiche Bedeutung besitzt wie in früheren Generationen. Stattdessen investieren jüngere Menschen deutlich häufiger in technologische Produkte. Genau hier kann jedoch auch eine große Chance für uns liegen, sofern es gelingt, passende Synergien zu identifizieren und innovative Ansätze zu entwickeln.

Herr Neiß, in welchen Ländern sehen Sie international Wachstumschancen?

Neiß: In Europa kann man mit Porzellan überall dort punkten, wo das schöne Leben im Mittelpunkt steht: in Italien oder in der Schweiz. In Frankreich gibt es insbesondere mit dem Limoges Porzellan eine ganze Reihe herausragender Porzellanhersteller, da ist es für eine deutsche Manufaktur schwieriger aber nicht unmöglich. Der arabische Raum interessiert sich sehr für unsere Produkte mit Golddekor. Seit Anfang des Jahres haben wir darüber hinaus eine vielversprechende Vertriebspartnerschaft mit Maison3Amis in den USA.

Stichwort Gold: Eines Ihrer meistverkauften Produkte ist der SIP OF GOLD Champagnerbecher, der innen vergoldet ist. Neben Weiß und Schwarz gibt es die filigranen Becher auch mit verschiedenen Mustern, bunten Dekoren mit Tieren und sogar Comichelden. Ist der Mut zur Farbe ein Trend?

Abbe: Absolut! In Deutschland wird Porzellan traditionell vor allem mit der Farbe Weiß assoziiert. Grundsätzlich ist jedoch ein deutlicher Trend hin zu farbigen Designs erkennbar. Ein Blick in aktuelle Interieur Magazine zeigt schnell, dass Pop-Art-­Elemente und kräftige Farben wieder stark im Kommen sind. Auch unsere wichtigsten Kunden aus der Hotellerie und Kreuzfahrtbranche legen zunehmend Wert auf dekoratives Porzellan mit ausdrucksstarken Designs.

Historisches Ambiente trifft moderne Manufaktur: Seit der Gründung 1747 entsteht auf dem Schlossgelände des ehemaligen Jagdschlosses das edle Porzellan.

Foto: Henning Scheffen

278 Jahre Erfahrung: Das Knowhow der Porzelliner wird von Generation zu Generation weitergegeben.

Foto: Fürstenberg / Claudia Warneke

Präzision in Serie: Bis heute basiert ein Großteil der Porzellanherstellung bei Fürstenberg auf Handarbeit.

Fotos: Henning Scheffen

Präzision in Serie: Bis heute basiert ein Großteil der Porzellanherstellung bei Fürstenberg auf Handarbeit.

Fotos: Henning Scheffen

Neue Kollektion RÊVERIE: Der leuchtend blaue Dekor, den der Designer Dimitri Rybaltchenko für Fürstenberg entworfen hat, zeigt Wolken, in denen sich verschiedene Tiere entdecken lassen.

Foto: Fürstenberg / Jonas von der Hude

The Good Life – ein wenig klassischer: Die SIP OF GOLD Champagnerbecher von SIEGER by FÜRSTENBERG in Schwarz-Weiß-Gold.

Foto: Henning Scheffen

1 2 3 4 5 6

Wie erklären Sie sich diese Lust auf Farbe und Dekor?

Abbe: Dekoriertes Porzellan ist kommunikativ, es schafft Gesprächsanlässe. Für einen Gastgeber gibt es kaum etwas Unan­genehmeres, als eine angespannte Stille unter den Gästen. Unser neuester Dekor RÊVERIE, den ich persönlich sehr liebe, zeigt feine Wolkenformationen, in denen sich die Konturen verschiedener Tiere verbergen. So wird das gemeinsame Essen zugleich zu einem kleinen Entdeckungsspiel, da jedes Teil mit anderen Motiven gestaltet ist.

Herr Neiß, was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin?

Neiß: Ich wünsche ihr viel Freude in dieser wunderbaren ­Porzellanmanufaktur, viel Erfolg mit Ihren tollen Ideen und auch das Glück, das man manchmal braucht. Ich bin über­zeugt, sie bringt genau den frischen Wind für die Reise Richtung 300. Jubiläum der Porzellanmanufaktur Fürstenberg.

Cornelia Abbe, André Neiß, vielen Dank für das Gespräch!

Mehr Infos finden Sie im Webangebot des Unternehmens unter www.fuerstenberg-porzellan.com