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Wirtschaft und Verteidigung

Foto: Michael Wallmüller

»Ich bin als Kind der 80er mit der Friedens­bewegung aufgewachsen. Jetzt wieder über Aufrüstung zu reden, verursacht bei mir ein komisches Gefühl.«

Karsten Seehafer

»Der Verteidigungssektor ist kein Rettungsanker für die Autoindustrie«

Die Hanomag Lohnhärterei behandelt für Rheinmetall Bauteile, die unter anderem in Flugabwehrgeschossen zum Einsatz kommen. Aus Sicht von Geschäftsführer Karsten Seehafer wird das Geschäft jedoch nie so groß sein, um die Ausfälle im Automobilsektor zu kompensieren.

Von Isabel Link

Zum Unternehmen

  • Die Hanomag Lohnhärterei Gruppe mit Hauptsitz in Hannover beschäftigt europaweit rund 900 Mitarbeiter an 13 Standorten, der Großteil davon in Deutschland.
  • Die Firma ist 1986 aus der früheren Betriebshärterei der Hanomag AG hervorgegangen. Seither befindet sie sich im Besitz der Familie Seehafer.
  • Das Unternehmen hat sich auf die Wärmebehandlung metallischer Werkstoffe wie Stahl und Alu spezialisiert.

Zweimal die Woche leistet die Hanomag Lohnhärterei einen Beitrag zur Rüstung Deutschlands. 800 Stahlhüllen für die 120-Millimeter-Flugabwehrgeschosse von Rheinmetall werden in zwei Chargen in den Öfen des Unter­neh­mens im Westen von Hannover gehärtet. »Wir könnten noch viel mehr machen«, sagt Geschäftsführer Karsten Seehafer.­ »Die Kapazitäten dafür haben wir.«

Was optimistisch klingt, hat einen ernsten Hintergrund: Das Geschäft des Unternehmens hängt zu 80 Prozent am Auto­mobil. Und da in dieser Branche schon seit einigen Jahren Krise herrscht, fehlen auch der Hanomag Lohnhärterei Aufträge. Deswegen haben Hanomag und andere Autozulieferer derzeit Kapazitäten frei. Diese Lücken könnten perspektivisch auch mit Aufträgen aus der Rüstungsindustrie gefüllt werden. Zumal diese durch die Aussetzung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben gerade stark wächst.

Findet die Branche genug Mitarbeiter?

Die Rüstungsindustrie ist aktuell angesagt. Branchen-Schwergewicht Rheinmetall etwa berichtet von weltweit 250.000 Bewerbungen im vergangenen Jahr, allein 175.000 in Deutschland. Sehr willkommen, so Atzpodien, sei der Zustrom von Fachkräften aus anderen Wirtschaftsbereichen, etwa der Auto-Branche. Ein Problem allerdings: Mitarbeiter, die an geheimschutzrelevanten Produkten arbeiten, bräuchten eine Genehmigung vom Wirtschaftsministerium. »Diese Verfahren stellen heute ein Bottleneck dar, da sie vielfach zu viel Zeit benötigen. Hier ist Beschleunigung das absolute Gebot der Stunde, um die Rekrutierung qualifizierten Personals zu ermöglichen.«

Für die Kriegs­wirtschaft: Zweimal die Woche härtet Hanomag Stahlhüllen für Flugabwehrgeschosse.

Foto: Hanomag

Die Stückzahlen in der Rüstung sind klein

Karsten Seehafer sieht die Verteidigungsindustrie jedoch nicht als Heilsbringer: »Man darf sich jetzt nicht der Illusion hingeben, die Rüstungsbranche sei ein Rettungsanker für das wegbrechende Geschäft.« Denn auch wenn Expertise aus der Auto­mobilbranche im Verteidigungssektor willkommen ist: Beide Branchen sind nur bedingt miteinander vergleichbar. Das liegt vor allem daran, dass die Autobranche um ein Vielfaches größer ist als der Verteidigungssektor auch was das Gesamtvolumen der Produkte betrifft. Ein Beispiel: »In Deutschland wurden 2024 mehr als vier Millionen Autos ­gebaut«, sagt Seehafer. »Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir irgendwann vier Millionen Panzer pro Jahr bauen wollen.«

Werden Aufträge effizient vergeben?

Das Beschaffungswesen der Bundeswehr galt über Jahre als träge und teuer. Mangelverwaltung und Bürokratie dominierten. Statt auf dem Markt verfügbare Produkte wurden gerne eigene teure »Goldrandlösungen« bestellt. Die Umsetzung weitreichender Beschaffungs- und Rüstungsprojekte war im Zyklus einer Legislaturperiode von nur vier Jahren häufig nicht möglich. Nach ersten Verbesserungen im Zuge der Zeitenwende soll sich nun noch mehr tun. Die angehende Regierung hat sich darauf verständigt, einen mehrjährigen Investitionsplan für die Verteidigungsfähigkeit zu etablieren, der eine langfristige finanzielle Planungssicherheit gewährleistet. Zudem soll ein Gesetz die Planung und Beschaffung von Waffensystemen beschleunigen.

Den Kontakt zu Rheinmetall pflegt die Hanomag Lohnhärterei seit fast 30 Jahren. Damals, in den 90ern, härteten die Hannoveraner im Auftrag von Rheinmetall Übungsmunition, die von der Bundeswehr auf den Truppenübungsplätzen in der Heide verschossen wurde. Später nahmen erst Konrad Seehafer und später sein Sohn Karsten als Geschäftsführer gelegentlich kleine Aufträge der Munitionsfabrik entgegen. Dann kam der Februar 2022. Russland überfiel die Ukraine. Plötzlich erhielten Zulieferbetriebe nicht nur mehr Aufträge von Rheinmetall und anderen Rüstungsunternehmen sondern auch Perspektiven in diesem Segment.

Muss Europas Rolle größer werden?

Viele verschiedene Panzer und Kampfjets: Während die USA sich oft auf ein Minimum an Waffensystemen beschränken, gibt es in Europa einen Wildwuchs. Stattdessen könnte man gemeinsame Typen entwickeln und diese dann in großen Stückzahlen günstiger produzieren. Das klingt sinnvoll. Kurzfristig sei mehr Kooperation in der Entwicklung allerdings keine Lösung, warnt BDSV-Chef Atzpodien. »Für die bis 2029 zu realisierenden Beschaffungsziele nützt dies wenig.« Es komme aktuell eher darauf an, die Nachfrage nach verfügbaren Produkten europäisch zu bündeln, um eine klare Perspektive für den Kapazitätsaufbau aufseiten der Industrie zu schaffen. »Dies ist jetzt absolut vordringlich, damit die Hersteller entsprechend planen und disponieren können.«

Auf Lager: Die Rüstungaufträge kommen in einer Zeit, in der der Absatz von Automobilteilen schleppend läuft.

Foto: Michael Wallmüller

Wie läuft das Geschäft? Den Großteil ihres Umsatzes macht die Hanomag Lohnhärterei mit Teilen für die Autoindustrie.

Foto: Michael Wallmüller

Früher friedensbewegt, heute von Verteidigung überzeugt

Karsten Seehafer sieht den Aufwuchs bei der Rüstung mit gemischten Gefühlen: »Ich bin als Kind der 80er mit der Friedensbewegung aufgewachsen. Jetzt wieder über Aufrüstung zu reden, verursacht bei mir ein komisches Gefühl.« Dennoch hält der Unternehmer eine stärkere Investition in die Verteidigung für richtig. Der Westen habe sich entschieden, die Ukraine militärisch zu unterstützen, sagt er. Diese Verpflichtung gelte es einzuhalten. In unsicheren Zeiten wie diesen müsse sich Deutschland verteidigen können, glaubt Seehafer und kritisiert: »Ich habe oft das Gefühl, dass noch nicht überall angekommen ist, wie sehr das Thema drängt.«

Zwar würden Sondervermögen aufgelegt und Schuldenbremsen ausgesetzt. Trotzdem fehle ihm bislang der Überblick, wie Deutschland konkret seine Verteidigungsziele erreichen will: »Ich habe bislang überhaupt keine Vorstellung davon, was der Verteidigungsmarkt eigentlich will«, sagt Seehafer.

Entsprechend schwierig sei es für Unternehmen wie Hanomag, mit diesem Sektor zu kalkulieren. »Momentan sind die Aufträge von Rheinmetall für uns eine willkommene Ergänzung. Erst recht in diesen für die Automobil-Industrie schwierigen Zeiten.« Aber einen nennenswerten Einfluss auf das Geschäftsergebnis haben sie bisher nicht: Zurzeit machen die Aufträge aus der Verteidigungsbranche bei der Hanomag-Gruppe weni­ger als 1 Prozent des Gesamtumsatzes von derzeit rund 130 Millionen Euro aus.

Rüstungsstandort Deutschland

Laut dem Wirtschaftsministerium erwirtschaftete die Verteidigungsindustrie 2022 einen Umsatz in Höhe von 31 Milliarden Euro. Rund 105.000 Menschen sind in der Branche beschäftigt.

Der Verteidigungsetat der Bundesrepublik beträgt im Jahr 2024 52 Milliarden Euro. Dazu kommt das Sondervermögen der Bundeswehr (19 Milliarden), die Ukraine-­Hilfe (7,5 Milliarden) und sonstige verteidigungs­relevante Ausgaben (7 Milliarden). Zusammengerechnet plant Deutschland im laufenden Jahr 8,5 Milliarden Euro für Verteidigungsausgaben ein – und erreicht mit 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts knapp das NATO-Ziel.

Zu den wichtigsten Firmen gehören Konzerne wie Airbus, die etwa den Kampfjet Eurofighter, Hubschrauber oder Transportmaschinen herstellen. Rheinmetall produziert vor allem Panzer und Landfahrzeuge sowie Munition. Gerade bei neueren Systemen wie Drohnen gehören auch kleinere Unternehmen zu den wichtigen Herstellern. Bekannte Firmen sind hier zum Beispiel Helsing und Quantum Systems.

Die meisten Teile landen in zivilen Fahrzeugen

Aktuell spielt die Auto-Industrie noch die Hauptrolle für das niedersächsische Unternehmen: Gehärtet werden am Standort vor allem Alu- und Metallteile, die später in zivilen Fahrzeugen verbaut werden. Hanomag-Chef Seehafer glaubt nicht, dass in den Werkhallen demnächst deutlich mehr militärische Teile bearbeitet werden.

Trotzdem hofft der Unternehmer grundsätzlich auf weitere Aufträge aus dem Verteidigungssektor. Und weil Deutschland stärker als früher in seine Verteidigung investieren will, sind die in Zeiten wie diesen wohl auch durchaus zu erwarten.