Arbeitswelt

Entwicklerstolz: Diesen Prototyp eines elektrifizierten Anhängers hat Nils Pfullmann mit seinem Team entworfen und aufgebaut.

Foto: Tim Schaaarschmidt

»Wir gehen an die Grenzen«

Bremssysteme für Lkw-Anhänger müssen in allen Situationen greifen – sonst wird es schnell gefährlich. Nils Pfullmann entwickelt bei ZF in Hannover die Technik dafür.

Von Isabel Link

Nils Pfullmanns Projekte beginnen in der Regel mit einem weißen Blatt. Genauer gesagt: einem leeren White­board. Der 42-Jährige ist Systementwickler bei der Division Commercial Vehicle Solutions, einem Unternehmensteil des Autozulieferers ZF Group. In Hannover sitzt nicht nur ein Produktionsstandort des Konzerns. Hier findet auch ein Teil der Produktentwicklung statt: Von den fast 3.000 Beschäftigten arbeiten rund ein Drittel in der Entwicklung. Sie forschen an Bremsregelsystemen und anderen Technologien, die Nutzfahrzeuge besser und sicherer machen.

Pfullmann entwickelt als Teamleiter mit einem 23-köpfigen Team Bremssysteme für Lkw-Anhänger und trägt damit viel Verantwortung. Denn: »Wenn ein Lkw-Gespann mit 40 Tonnen bergab auf eine rote Ampel zurollt, muss bei Rot nicht nur die Zugmaschine stehen, sondern auch der Anhänger – und das bei jedem Wetter«, erklärt der promovierte Physiker. Versagen die Bremsen des Trailers, kann es ansonsten schnell bedrohlich werden.

Härtetest: Das Team um Nils Pfullmann entwickelt eng verzahnt mit Kolleginnen und Kollegen aus Friedrichshafen einen elektrifizierten Lkw-Anhänger …

Foto: Tim Schaaarschmidt

… dazu gehören Komponenten wie eine elektrische Antriebsachse und Hochvoltbatterien, die extremen Temperaturen und Nässe standhalten müssen.

ZF ist Marktführer bei den elektronischen Bremssystemen

Bei ZF gelten für Bremssysteme hohe Qualitätsstandards, und Anhänger sind da keine Ausnahme. Trailer-Bremsen müssen laut Vorgabe mindestens zehn Jahre halten und eine Million Kilo­meter überstehen. Dabei sollen sie natürlich bezahlbar bleiben. Eine Herausforderung für Pfullmann und sein Team – aber keine, die sie scheuen. Der Konzern hat ein waches Auge auf aktuelle Markttrends und mögliche zukünftige Entwicklungen. »Es gibt mehr als 1.000 Hersteller für Anhänger«, sagt Pfullmann. »Wir haben also den Anspruch, für eine möglichst breite Basis an potenziellen Kunden die bestmögliche Lösung anzubieten.« Das funktioniert nur, indem man nicht nur Systeme optimiert, sondern ausbaut, weiterdenkt, Inno­vationen wagt. Und die Technologie bereits am Whiteboard flexibel auslegt.

Dass ZF mit dieser Methode etwas richtig macht, erkennt man an den Absatzzahlen: Bei elektronischen Bremssystemen für Anhänger hat das Unternehmen einen Marktanteil von 70 Prozent. Aber was passiert eigentlich auf dem Weg vom Whiteboard bis zum serienreifen Produkt? »Zu Beginn wollen wir die Anforderungen genauestens verstehen. Dann machen wir uns eine Menge Gedanken und reden mit Beteiligten sowohl bei uns als auch beim Kunden«, erklärt der Systementwickler. Dabei klären die Experten Fragen wie: Welches Problem genau will der Kunde gelöst haben? Und welche technischen Optionen haben wir? Sind die Vorüberlegungen geklärt, legen die Entwicklerteams los. Jedes befasst sich mit einzelnen Komponenten und Details. Von ihren Designs produzieren die Entwickler anschließend nicht nur dreidimensionale Zeichnungen, sondern auch Musterteile. Die werden gebraucht für den nächsten Schritt: die Praxistests.

»Die Bremse muss funktionieren – und zwar bei jedem Wetter«

Dr. rer. nat. Nils Pfullmann,
Teamleiter System solutions trailer, suspension and driver assistance functions, ZF Group

Foto: Henning Scheffen

Wie reagieren die Bremsen bei extremen Temperaturen?

Auf dem Prüfstand bauen die Entwickler dafür die Elektronik eines Anhängers um das Gerät herum und simulieren verschiedene Fahr- und Bremsmanöver. Macht das Gerät in jeder Situation, was es soll? Wie reagiert es im Klimaschrank auf extre­me Temperaturen oder Nässe? »Wir gehen gezielt an die Grenzen«, sagt Pfullmann. Bremsen sind nur ein Teil der Dinge, die in Hannover entwickelt werden. Aktuell beschäftigt sich das Team mit der Elektrifizierung von Lkw-Anhängern, um den CO₂-Ausstoß im Schwerlastverkehr zu verringern. Dafür müssen neue Komponenten wie Hochvoltbatterien, elektrifizierte Achsen und vieles mehr in den Trailer integriert werden.»Fast wie ein Elektroauto, nur ohne Lenkung«, fasst Pfullmann zusammen. Das ist ein riesiger Schritt, da Anhänger bisher kein eigenes Antriebssystem haben. »Viele Themen müssen wir uns neu erschließen und erarbeiten.« Dabei hilft das bisherige Know-How aus der Bremssystementwicklung.

Dass er einmal Bremselektronik entwickeln würde, hätte sich Pfullmann während seines Studiums der Laserphysik nicht träumen lassen. Nach der Promotion zieht es ihn als Trainee zu VW. In Wolfsburg wirkt er mit an der Entwicklung von hochauflösenden Scheinwerfern und Rückleuchten. »Dabei habe ich gemerkt, wie viel Spaß die Systementwicklung macht«, erinnert er sich. Doch Scheinwerfer testet man nun mal am besten bei Dunkelheit, also während Nachtfahrten. Aber Pfullmann wurde Vater und wollte mehr für seine junge Familie da sein. 2020 trennten sich die Wege mit VW freundlich. Sein neuer Pfad führte ihn zu ZF.

»Hands-on-Erfahrung mit den Geräten ist wichtig für die Entwicklung.«

Dr. rer. nat. Nils Pfullmann

Zum Unternehmen

  • Die ZF-Division Commercial Vehicle Solutions entwickelt in Hannover technologische Lösungen für den Nutzfahrzeug-Sektor.
  • Dazu zählen neben elektronischen Brems­systemen auch Lösungen im Bereich autonomes Fahren, Elektromobilität oder zum digitalen Flottenmanagement.
  • Am Standort Hannover arbeiten momentan fast 3.000 Beschäftigte – ein Drittel von ihnen sind Entwicklerinnen und Entwickler.

Verbesserungspotenzial erkennt man häufig besser in der Praxis

Beharrlichkeit und akribisches, ganzheitliches Denken gehören zu den wichtigsten Tugenden, die man als Systementwickler mitbringen sollte, sagt Pfullmann. »Auch bei steigenden Anforderungen wollen wir die Entwicklungszyklen kurzhalten«, erklärt er. »Da hilft es, die Technik nicht nur in ihren Details zu begreifen – sondern auch, wie sie sich in das Komplettsystem einfügt.« Von seinen Mitarbeitern erwartet er, dass sie auch mal selbst die Ärmel hochkrempeln: »Wenn man direkt am Fahrzeug arbeitet, bekommt man sofort ein Gefühl, wie gut das Gerät funktioniert – und wo noch Verbesserung­spotenzial ist.« So etwas erkenne man meist nicht am Whiteboard. Sondern erst in der Praxis.

Entwicklungsstandort: Ein Großteil der Beschäftigten am Standort Hannover sind Entwicklerinnen und Entwickler.

Foto: Henning Scheffen

Kompakt: Nils Pfullmann mit der neuesten Generation des elektronischen Bremssystems für Anhänger von ZF.

Foto: Henning Scheffen

Am »Hardware-in-the-Loop«-Prüfstand: Hier werden diverse Fahr- und Fehlersituationen immer wieder geprüft.

Henning Scheffen

ZF im Netz

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