Foto: Dominik Butzmann
»Wir werden in internationalen Rankings durchgereicht – und das Konzept der überbordenden Regulierung ist gescheitert.«
Hildegard Müller
»Unsere Autoindustrie ist wettbewerbsfähig – unser Standort ist es nicht«
Die deutsche Automobilindustrie steckt tief in der Krise. Das muss uns große Sorgen machen. Denn sie ist das Herzstück unserer Industrie. Hunderttausende Jobs in Deutschland hängen direkt oder indirekt am Auto. Schwächelt diese Branche, ist unser Wohlstand in Gefahr. Wie prekär ist die Lage in der Automobilwirtschaft? Was muss die Politik ändern, um sie wieder zu stabilisieren? Und welche Rolle spielen E-Fuels dabei? Ein Gespräch mit Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA).
Die Ankündigung von VW, Arbeitsplätze und sogar Standorte in Deutschland abbauen zu wollen, hat für ein Beben in der Automobilindustrie gesorgt. Viele sehen darin den letzten Beweis, dass die deutsche Schlüsselindustrie in ihrer bislang tiefsten Krise steckt. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Wir weisen seit langer Zeit daraufhin, dass die deutsche Automobilwirtschaft mit Ihren Lösungen für die klimaneutrale und digitale Mobilität der Zukunft absolut wettbewerbsfähig ist, der deutsche Standort aber leider nicht mehr. Die Situation ist ernst: Rund ein Fünftel der industriellen Wertschöpfung in Deutschland ist bedroht, eine schleichende Deindustrialisierung ist eine reale Gefahr und wird ohne entschlossenes Gegenlenken zur bitteren Realität. Ob Draghi-Report oder BDI-Transformationsstudie – in Sachen Bestandsaufnahme gibt es keinen Interpretationsspielraum mehr: Wir werden in internationalen Rankings durchgereicht – und das Konzept der überbordenden Regulierung ist gescheitert.
Ich sehe in Sachen Standortbedingungen vor allem den Staat in der Verpflichtung. Alle unsere Mitgliedsunternehmen klagen über Bürokratie, hohe Energie- und Arbeitskosten, die hohen Steuern, die überbordende Regulierung und fehlende Handels- und Rohstoffabkommen – hier müssen Berlin und Brüssel endlich entschlossen handeln. Mit den Sorgen sind wir im Übrigen nicht alleine, diese Faktoren belasten die gesamte deutsche Industrie.
Müssen wir uns darauf einstellen, dass die deutsche Automobilindustrie auf den Weltmärkten bald nur noch eine Nebenrolle spielt?
Ganz sicher nicht. Die deutsche Automobilindustrie hat eine hohe Innovationskraft. Und ihre Marken haben international eine hohe Strahlkraft. Unsere Produkte sind weltweit weiterbeliebt. Nochmals: Deutschlands Automobilindustrie ist wettbewerbsfähig. Die Standortbedingungen in Deutschland sind es aber nicht.
Lange lief es sehr gut für die deutsche Autoindustrie und das hat dazu geführt, dass insbesondere die Öffentlichkeit über die von mir benannten strukturelle Probleme hinweggesehenhat. Spätestens seit Corona treten diese Schwächen zu Tage. Dass nun unterstellt wird, die Krise sei nur hausgemacht, ist umso erschreckender und zeigt, wie realitätsfremd Teile der Politik sind – leider aber auch Teile der öffentlichen Debatte. Dabei wäre es jetzt so wichtig, wirklich an den Ursachen zu arbeiten – auf die wir im Übrigen seit Jahren hinweisen.
Umso entschiedener muss die wirtschaftliche Vernunft jetzt sein. Es ist mein fester Glaube an die eigentlichen Fähigkeiten dieses Standortes, mein Vertrauen in die Innovationskraft,in Kreativität, Leidenschaft und Erfolgswillen der Menschen, der mich nicht müde werden lässt, für einen Kurswechsel zu werben. Der mich nicht müde werden lässt, wo es nötig ist, deutliche Kritik zu üben und mit dem VDA konstruktive und lösungsorientierte Alternativen vorzuschlagen. Das gilt nicht nur für die Politik – das gilt genauso für uns als Industrie, das möchte ich ausdrücklich ebenso betonen. Auch hier gilt: Kritische Selbstreflektion ist für alle die beste Qualitätssicherung.
Foto: Verband der Automobilindustrie (VDA)
Hildegard Müller
Präsidentin Verband der
Automobilindustrie (VDA)
Hildegard Müller, geboren 1967, ist seit dem 1. Februar 2020 Präsidentin des VDA. Müller absolvierte vor ihrem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eine Ausbildung zur Bankkauffrau bei der Dresdner Bank AG in Düsseldorf. Zuletzt arbeitete sie bei der Dresdner Bank als Abteilungsdirektorin. Von Oktober 2002 bis September 2008 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Zudem war sie von November 2005 bis September 2008 Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin.
Hildegard Müller übernahm im Oktober 2008 das Amt der Vorsitzenden der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. in Berlin. Ab Mai 2016 war sie Mitglied des Vorstands der innogy SE und verantwortete das Ressort Netz & Infrastruktur sowie die Koordination der Digitalisierungsprojekte.
Was muss sich am Standort Deutschland ändern, damit unsere Autoindustrie wieder wettbewerbsfähiger wird?
Wir sind inmitten der Transformation – und ich sehe täglich mit Bewunderung, wie unsere Unternehmen mit Leidenschaft, Entschlossenheit, Erfindergeist und hohen Investitionen diese Herausforderung angehen. Das ist eine enorme Kraftanstrengung. Sie kann nur erfolgreich sein, wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Entscheidend dabei: ein international wettbewerbsfähiger führender Standort. Die Aufgaben sind bekannt und erfordern entschlossenes Handeln, in puncto wettbewerbsfähige Energiepreise genauso wie mit Blick auf ein wettbewerbsfähiges Steuersystem oder beim Bürokratieabbau. Rohstoff- und Energiepartnerschaften wurden kaum geschlossen, bei Freihandelsabkommen geht es praktisch nicht voran. China hat sich kürzlich mit über 50 afrikanischen Staaten getroffen und verhandelt. Europa hingegen hat fast 50 Handelsabkommen weltweit offen, Abschlüsse sind teils in weiter Ferne. Dabei wären solche Abschlüsse so wichtig. Deutschland ist eine Exportnation: In der deutschen Automobilindustrie hängen etwa 70 Prozent der Arbeitsplätze vom Export ab. Das ist die Basis unseres Wohlstands – und weder Berlin noch Brüssel tun genug für diese Basis.
Insgesamt gilt: Unsere Innovationen und Investitionen können nur dann maximale Wirkung zeigen, wenn das Umfeld stimmt, wenn Klimaschutz nicht gegen, sondern mit der Industrie und den Menschen in unserem Land entwickelt wird.
E-Fuels spielen aus Ihrer Sicht eine Schlüsselrolle auf dem Weg zur klimaneutralen Mobilität. Ihre Herstellung ist jedoch bislang sehr teuer und vor allem energieaufwendig. Wie könnte die deutsche Automobilindustrie dennoch davon profitieren?
Um die gesetzten Klimaziele im Verkehr zu erreichen, brauchen wir jede Technologie. Der Hochlauf der Elektromobilität wird den zentralen Beitrag leisten – erneuerbare Kraftstoffe und Wasserstoff sind ebenso wichtige Säulen. Fakt ist: Mit erneuerbaren Kraftstoffen kann insbesondere auch der Bestand von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor perspektivisch weitgehend klimaneutral betrieben werden. Zusätzlich kann auch der Markthochlauf von Null-Emissions-Fahrzeugen, wie beispielsweise Brennstoffzellen-Lkw, angereizt werden.
Grundsätzlich gilt hier: Nur mit einem Kurs, der technologieoffen alle Lösungspotenziale zulässt, kann Europa seine ambitionierten CO2-Reduktionsziele erreichen. Es wäre fahrlässig, sich heute darauf festzulegen, dass die Erzeugung von E-Fuels auch in Zukunft dauerhaft nicht wirtschaftlich sein kann. Mit steigender Produktion und entsprechenden Skaleneffekten sinken die Produktionskosten, Entwicklungssprünge können zu mehr Effizienz führen. Dass die Industrie diese vielfältigen Lösungen für die klimaneutrale und digitale Mobilität der Zukunft entwickelt und zur Serienreife gebracht hat, hat übrigens zuletzt die IAA Transportation in Hannover mit ihren 145 Weltneuheuten eindrucksvoll bewiesen.
»Es wäre fahrlässig, sich heute darauf festzulegen, dass die Erzeugung von E-Fuels auch in Zukunft dauerhaft nicht wirtschaftlich sein kann.«
Hildegard Müller
Was erwarten Sie in dieser Hinsicht von der Politik?
Entscheidend ist jetzt, dass die Politik Anreize für den Hochlauf erneuerbarer Energieträger festschreibt und somit Investitionen gewährleistet und fördert. Innovationen, Weiterentwicklungenund Skaleneffekte werden dafür sorgen, dass erneuerbare Kraftstoffe langfristig günstiger werden. Die Treibhausgasminderungsquote ist zudem ein Instrument, mit dem ohne staatliche Subventionen Investitionen in erneuerbare Energieträger für den Verkehrssektor angereizt werden können. Deshalb setzen wir uns in der Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III) für ambitioniertere Ziele ein.
Zu unseren Forderungen gehört ein langfristiger Zielpfad sowie eine nach oben dynamische THG-Quote. Das bedeutet, dass die THG-Quote bei Übererfüllung durch einen festgelegten Mechanismus automatisch ansteigt, um Investitionsanreize in erneuerbare Energieträger aufrechtzuerhalten. Neben einer ambitionierten Ausgestaltung der RED III braucht es flankierende Maßnahmen: unter anderem einen langfristigen Reduktionszielpfad – wie für den Flug- und Schiffsverkehr bereits verabschiedet – und eine Reform der Energiesteuer. Ziel aller politisch denkbaren Instrumente muss ein schneller und skalierbarer Technologie- und Markthochlauf sein.
2026 soll das von der EU beschlossene Verbrennerverbot für Neuwagen ab 2030 noch einmal auf den Prüfstand gestellt werden. Wird das Verbot kippen?
Klimaneutrale Mobilität zu ermöglichen – in Deutschland genauso wie auf dem Rest der Welt – ist Leitmotiv der deutschen Automobilindustrie. Unsere Unternehmen treiben diese Mission mit hohen Investitionen und Innovationen voran. Von 2024 bis 2028 investieren unsere Hersteller und Zulieferer rund 280 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung, weitere 130 Milliarden Euro in den Neu- und Umbau von Werken. Weltweit bieten deutsche Hersteller etwa 130 E-Modelle an. Das Angebot steigt ständig. Auch für die unteren Preissegmente.
Wir sind überzeugt: Der Hauptbeitrag erfolgt über die Elektrifizierung der Antriebe. Eine ausreichende und leistungsfähige Ladeinfrastruktur mit vorausschauend ausgebauten Stromnetzen und bezahlbaren Ladestrompreisen ist dabei ein wesentlicher Schlüsselfaktor, um die Menschen für den Umstieg auf die Elektromobilität zu begeistern. Die Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen die Gewissheit, überall und zu jeder Zeit unkompliziert laden zu können.
Gleichzeitig gilt zweifellos: Wir brauchen globale Lösungen, um beim Klimaschutz entscheidend voranzukommen und haben uns daher immer im Sinne der Technologieoffenheit für unterschiedliche Lösungen auf dem Weg zur Klimaneutralität für unterschiedliche Regionen ausgesprochen. Das gilt auch mit Blick auf die Zukunft des Verbrenners.
Grundsätzlich gilt darüber hinaus: Wie bei jedem Projekt braucht es bei dem Ziel der Erreichung der Klimaneutralität ein entsprechendes Monitoring und Möglichkeiten nachzusteuern, um die Ziele zu erreichen. Wir fordern daher, den von der EU-Kommission erst für 2026 geplanten Review für die Flottenregulierung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge auf 2025 vorzuziehen, den Fortschritt auch danach regelmäßig politisch zu überprüfen und auf Basis dessen entsprechende Anpassungsbedarfe zu identifizieren und vorzunehmen. Auch bei der Flottenregulierung für schwere Nutzfahrzeuge sollte das hier für 2027 vorgesehene Review um ein Jahr auf 2026 vorgezogen werden.