Azubis unter sich: Bei Arwed Löseke führen die Azubis selbst die Bewerbungsgespräche mit ihren künftigen Kolleginnen und Kollegen.
Bewerbungsgespräch beim Azubi
Dem Hildesheimer Unternehmen Arwed Löseke mangelt es dank umfangreicher Recruiting-Maßnahmen nicht an Bewerbern für die gewerblichen Ausbildungsplätze. Trotzdem geht die Firma einen ganz neuen Weg, um weiterhin für junge Menschen attraktiv zu sein: Sie lässt die kaufmännischen Azubis ihre künftigen Kollegen selbst auswählen.

Hat Vertrauen in seine Azubis: Prokurist Sven Schmidt
Das Lächeln verrät seine Nervosität, als Timo Wittkowski die Hand von Sven Schmidt schüttelt und ihm in den Besprechungsraum folgt. Dort sitzen bereits zwei andere junge Männer: Liam Bautz und Mats Ertel. Die beiden sind das, was Wittkowski werden will: kaufmännische Auszubildende bei der Hildesheimer Firma Arwed Löseke. Doch schon kurz nach Beginn des Vorstellungsgesprächs steht Prokurist Schmidt auf. Er bedankt sich, erklärt kurz, dass sein Bewerbungsgespräch von den beiden Azubis weitergeführt werden wird, und verlässt den Raum. Völlig perplex bleibt Wittkowski mit den beiden Auszubildenden zurück. Und erst als Bautz und Ertel die ersten Fragen stellen, wird ihm klar, dass er tatsächlich die beiden jungen Männer von sich überzeugen muss.
Azubis stellen Azubis ein: Diese Regelung gibt es bei Löseke, einem Spezialisten für Staubfiltrationsbeutel und flexible Verpackungen für Industrie und Handel, erst seit kurzem. »Ursprünglich war es eine Schnapsidee«, erzählt Schmidt. Aber aus Spaß wurde schnell Ernst. »Wir dachten uns: Warum eigentlich nicht? Warum sollen nicht diejenigen bei der Besetzung von Ausbildungsstellen ein Wort mitzureden haben, die nachher mit den neuen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten müssen?« Und auch für die Bewerber hat ein Gespräch mit Gleichaltrigen Vorteile, wie sich rasch herausstellte.
Das »Du« schafft Vertrauen
»Natürlich war ich erst einmal geschockt, als ich begriffen habe, dass ich mein Gespräch mit zwei Auszubildenden führen würde«, sagt Wittkowski. »Aber dann habe ich gemerkt, wie der Druck von mir abgefallen ist.« Stattdessen hat er die Chance gesehen, die darin lag: »Ich konnte ganz genau nachfragen, wie die Ausbildung so ist, und habe ehrliche Antworten bekommen. Das ist mir sehr positiv aufgefallen.« Diesen Eindruck bestätigen auch Jerome Hartmann und Marlene Hilbert. Sie sind die beiden anderen Azubis, die von Bautz und Ertel eingestellt wurden und zusammen mit Wittkowski am 1. August dieses Jahres ihre Ausbildung bei Löseke angefangen haben. »Es ist einfach ein anderes Gefühl, wenn man keinem Chef gegenüber sitzt, sondern zwei Leuten, die im gleichen Alter sind wie man selbst«, sagt Hartmann. »Mir wurde gleich das ›Du‹ angeboten. Das schafft Vertrauen«, ergänzt Hilbert. Allerdings fühlte sie sich nach dem Gespräch etwas verunsichert. »Ich wusste nicht, ob ich überzeugt habe und was eigentlich in dieser Situation von mir erwartet wurde.«
Über ihre Erwartungen haben sich die beiden Azubis natürlich im Vorfeld ausführlich Gedanken gemacht. »Wir haben zusammen mit den anderen Azubis, Herrn Schmidt und der Personalabteilung in einem Workshop einen umfangreichen Leitfaden erarbeitet, an dem wir uns während der Gespräche orientieren konnten«, erklärt Bautz, der im zweiten Lehrjahr seiner Ausbildung ist. Darauf stehen Fragen wie »Warum der Ausbildungsberuf und wieso bei Löseke?«, aber auch Hinweise, worauf die Azubis während des Gesprächs besonders achten sollen. Zum Beispiel, ob es plausible Erklärungen für Auffälligkeiten im Zeugnis gab. »Wir achten nicht so sehr auf Noten, aber auf Fehltage«, sagt Prokurist Schmidt. Denn wenn jemand in der Schule sehr häufig gefehlt hat, sei das in der Regel ein Alarmsignal.
Verantwortung als Ausdruck von Wertschätzung
Am meisten hätten sie mit den Bewerberinnen und Bewerbern jedoch über die Ausbildung bei Löseke gesprochen. Wie sieht ein klassischer Arbeitstag aus und welche Aufgaben haben die Azubis? Dann erzählen Bautz und Ertel von den vielen Azubi-Projekten, die sie eigenverantwortlich gestalten. Zum Beispiel verantworten sie den Instagram-Kanal, sind maßgeblich für die Präsentation der Firma auf Jobmessen zuständig oder organisieren die täglichen Produktionsmeldungen. »Bei Löseke bekommen Azubis schon von Tag eins an Verantwortung«, sagt Ertel.
Allerdings nicht nach dem Prinzip »Mach’ mal, du schaffst das irgendwie«, betont Schmidt. Denn die Auszubildenden sollten schließlich etwas lernen. Daher gibt es unter anderem ein Patenprogramm mit erfahrenen Mitarbeitern und den Betriebsunterricht, in dem die Azubis jeden Freitag Inhalte aus der Berufsschule mit Vertretern der Fachabteilungen von Löseke vertiefen. »Dass wir unseren Azubis viel zutrauen, hat also vor allem mit Wertschätzung zu tun«, sagt Schmidt.
»Dass wir unseren Azubis viel zutrauen, hat vor allem mit Wertschätzung zu tun.«
Sven Schmidt
»Vor dem ersten Gespräch konnte ich kaum schlafen«
Die Gestaltung der Bewerbungsgespräche ist ebenfalls ein Ausdruck dieser Wertschätzung. Denn Ertel und Bautz haben sich freiwillig dafür gemeldet. »Ich fand es einfach spannend, zu erleben, wie ein Bewerbungsprozess auf der Unternehmensseite abläuft«, sagt Bautz. Trotzdem habe ihnen der Gedanke, auf der anderen Seite des Tisches zu sitzen, im Vorfeld ordentlich Respekt eingeflößt. »In der Nacht vor dem ersten Gespräch konnte ich kaum schlafen«, gesteht Ertel. »Ich habe mich ständig gefragt, wer da wohl vor uns sitzen wird und was wir unseren Vorgesetzten empfehlen sollen. Aber man wächst in dieser Situation über sich hinaus und ich habe viel über den Umgang mit fremden Menschen gelernt.«
Auch die Vorgesetzten hatten im Vorfeld Bedenken. »Die bezogen sich aber nicht auf die Azubis«, sagt Schmidt. »Wir waren eher besorgt, dass uns hinterher die Eltern der Bewerber aufs Dach steigen, weil ihre Kinder zu Hause erzählen, die Personaler hätten keine Zeit für sie gehabt und deshalb nur die Azubis geschickt.« Doch das sei zum Glück nicht passiert.

Jetzt mal Butter bei die Fische: Marlene im Bewerbungsgespräch bei Liam und Mats
In der Produktion hakt das Modell noch
Trotzdem funktioniert dieses innovative Prinzip der Bewerberauswahl auch bei Löseke (noch) nicht ganz reibungslos. In der Produktion gab es noch keine von Azubis geführten Bewerbungsgespräche. »Beim ersten Bewerbungsgespräch war leider einer der beiden Freiwilligen krank und der andere konnte nicht von der Maschine weg«, sagt Schmidt. Die kaufmännischen Azubis könnten in diesem Fall nicht einspringen, da sie keine Fachfragen zu den Aufgaben der Ausbildung im Produktionsbereich beantworten können. »Aber wir haben in diesem Jahr insgesamt 10 Azubis eingestellt, den Großteil in der Produktion, und sind zuversichtlich, dass es im nächsten Jahr auch hier mit den Azubi-Bewerbungsgesprächen klappt.«
Und wie sehen die neuen Azubis der Aufgabe entgegen, die auch auf sie zukommt? »Ich habe auf jeden Fall Lust darauf«, sagt Jerome Hartmann. »Es ist ein schönes Gefühl, zu wissen, dass uns die Vorgesetzten so viel zutrauen.« Marlene Hilbert sieht es genauso. »Man fühlt sich noch stärker als Teil des Teams.« Außerdem müsse man die Chance nutzen, wenn man ein Mitspracherecht bekommt. »Ich will schließlich, dass die neuen Azubis Leute sind, mit denen man gern zusammenarbeitet«, ergänzt Timo Wittkowski und lächelt. Dieses Mal voller Vorfreude.
Schön, dass du da bist!

Felicia Ullrich, geschäftsführende Gesellschafterin U-Form-Verlag
Foto: Felicia Ullrich
Bis zu einem Drittel der Ausbildungen in Deutschland wird im ersten Ausbildungsjahr abgebrochen oder gar nicht erst angetreten. Eine der Hauptursachen: Das Gefühl, in der neuen Firma nicht willkommen zu sein. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, wie Kolleginnen und Kollegen dem Nachwuchs schon vom ersten Tag an vermitteln können, dass es sich lohnt, zur Arbeit zu kommen. Drei Tipps von Felicia Ullrich, geschäftsführende Gesellschafterin des auf Azubi-Recruiting spezialisierten U-Form-Verlags.
Namensschilder tragen
»Wir kennen das von uns selbst: Wenn wir irgendwo neu sind, können wir uns auch nicht jeden Namen auf Anhieb merken.« In Ullrichs Verlag tragen daher alle in den ersten zwei Wochen, in denen neue Kollegen anfangen, Aufkleber mit Namen und Funktion. So entstehen für den Azubi keine peinlichen Situationen, weil er den Namen seines Gegenübers vergessen hat.
Interesse zeigen
Gerade junge Menschen sind im Arbeitsumfeld noch sehr unsicher. Für sie ist alles neu: die Firma, die Leute, das Arbeitsleben überhaupt. Deshalb sollte man nicht erwarten, dass die Azubine die alteingesessenen Kollegen von sich aus anspricht. »Gehen Sie stattdessen auf sie zu, stellen Sie sich vor und wechseln Sie ein paar nette Worte mit ihr. Das nimmt ihr die Scheu«, rät Ullrich. Weiterer Tipp: Bei dieser Gelegenheit kann man gleich klären, ob man zukünftig mit Du oder Sie angesprochen werden möchte.
Arbeitsplatz vorbereiten
Ach, heute kommt ja der neue Azubi … was machen wir denn mit dem? Und hat eigentlich jemand einen PC-Zugang für ihn beantragt? Nichts ist unangenehmer, als wenn der Auszubildende am ersten Tag das Gefühl hat, nur ein Störfaktor zu sein. Besser: Schon vorher einen Arbeitsplatz einrichten, alle nötigen Zugänge einrichten und klären, welche Aufgaben der Neue in den ersten Tagen übernehmen kann. Bonuspunkte gibt es für ein freundliches »Willkommen«-Schild oder ein kleines Geschenk auf dem Arbeitsplatz.