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Paragrafen-Dschungel

Composing: Holger Kölling / Getty Images (wildpixel)

Gefesselt im Paragrafen-Dschungel: Wie die Bürokratie die deutsche Wirtschaft lähmt

Berichtspflichten hier, Prüfvorgaben dort: Eine aktuelle Allensbach-Umfrage zeigt, wie deutsche Unternehmen unter einem Berg aus Vorgaben ächzen, die nichts zur Wertschöpfung beitragen. Das ist gefährlich für den Standort.

Von Isabel Link

Entbürokratisierung das Wort ist so sperrig wie schwammig. Seit Jahren drängt die Wirtschaft darauf, die Politik möge endlich den Urwald aus Verordnungen, Richtlinien und Vorschriften zurückschneiden, und zwar drastisch. Und das aus gutem Grund: Der Wirtschaftsstandort Deutschland steht massiv unter Druck, nicht zuletzt aufgrund der stetig zunehmenden bürokratischen Anforderungen. Häufig werden neue Verordnungen in bester Absicht erlassen, ohne dass vorher geprüft wird, welchen Aufwand sie für die Betroffenen verursachen. Eine neue Allensbach-Studie im Auftrag des Arbeitgeberverbands NiedersachsenMetall hat sich nun genauer mit den Auswirkungen der Bürokratie auf Unternehmen beschäftigt. Das Ergebnis: Nicht nur die schiere Masse der Vorgaben ist ein Problem, sondern auch ihre Einhaltung.

Was konkret belastet

»Wie stark belasten Sie die folgenden Probleme und Herausforderungen im Zusammenhang mit Bürokratie?«

© IfD-Allensbach

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Mitgliedsunternehmen NiedersachsenMetall
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 6182

Mit 97 Prozent gibt nahezu jedes befragte Unternehmen an, dass die Last der staatlichen Regulierungen auf die Wirtschaft in den vergangenen fünf Jahren gestiegen sei. Für neun von zehn so stark, dass sie als große oder sehr große Belastung empfunden werden. »Die Einhaltung der Vorschriften bindet personelle Kapazitäten, es entstehen erhebliche Kosten, das Haftungsrisiko nimmt zu und Prozesse werden verlangsamt, ohne dass all dies auch nur minimal zur Wertschöpfung beiträgt«, kritisiert Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall und Auftraggeber der Studie. »Angesichts dessen sollte sich niemand mehr wundern, warum die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen rapide sinkt.«

»Das deutsche Klassenprimus-Denken schadet uns in puncto Bürokratie mehr als es nützt.«

Dr. Volker Schmidt

Die umfassenden Berichts- und Dokumentationspflichten, die mit den Regulierungen einhergehen, sowie die langwierigen Antrags- und Genehmigungsverfahren werden von den Unternehmen als besonders kräftezehrend empfunden. Dazu kommt die unzureichende Digitalisierung der staatlichen Stellen, die die Erfüllung der Pflichten noch umständlicher macht. Aber auch die überzogene Umsetzung von europäischen Regelungen sowie praxisferne Vorschriften verärgern die Befragten. »Es ist eine deutsche Eigenart, dass unsere Politik Vorgaben aus Brüssel in der Regel nicht nur rasch und vollständig übernimmt, sondern häufig auch noch verschärft«, sagt Schmidt. »Obwohl sich längst gezeigt hat, dass dieses Klassenprimus-Denken uns mehr schadet als nützt.«

Verhältnismäßigkeit

»Bei welchen Regelungen und Vorschriften stehen Ihrer Meinung nach Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis?«

© IfD-Allensbach

Basis: Bundesrepublik Deutschland, Mitgliedsunternehmen NiedersachsenMetall
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 6182

Den größten Aufwand, da sind sich fast drei Viertel der befragten Unternehmerinnen und Unternehmer einig, verursacht die Einhaltung der Daten­schutzgrundverordnung (DSGVO). Zwei Drittel haben besonders großen Aufwand mit den Vorschriften des Lieferkettengesetzes, und jeweils die Hälfte empfinden die Erstellung der Nachhaltigkeitsberichte (CSRD, ESRS), die Anforderungen beim Arbeitsschutz und die Elektronische Krankschreibung als besonders aufwändig.

Allerdings bringen die befragten Unternehmerinnen und Unternehmer für gewisse bürokratische Regelungen durchaus Verständnis auf. Bei den Anforderungen an den Arbeitsschutz empfinden mehr als zwei Drittel der Befragten den hohen Verwaltungsaufwand als gerechtfertigt. Gleiches gilt für die Richtlinien zur Sicherheit von Maschinen und die Vorschriften zum Umgang mit Chemikalien. In keinem vernünftigen Verhältnis von Aufwand und Ertrag stehen dagegen für 84 Prozent der Befragten die Anforderungen aus dem Lieferkettengesetz, dicht gefolgt von der DSGVO und dem Arbeits­zeitnachweisgesetz. Vorteile in der Erfüllung der vielen bürokratischen Vorgaben sehen viele Unternehmerinnen und Unternehmer kaum. Zwei von fünf Befragten gaben immerhin an, dass man auf diese Weise das Risiko von Rechtsstreitigkeiten verringern könnte. Ein Drittel glaubt, dass dadurch das Vertrauen von Kunden, Geschäftspartnern und Investoren gestärkt würde.

Regulierungslasten

»Wie groß ist ganz generell die Belastung, die Ihrem Unternehmen durch die staatliche Regulierung entsteht?«

97 % der Unternehmen ziehen die Bilanz, dass die bürokratischen Lasten in den vergangenen fünf Jahren gestiegen, in jedem zweiten Fall stark gestiegen sind

© IfD-Allensbach
Basis: Bundesrepublik Deutschland, Mitgliedsunternehmen NiedersachsenMetall
Quelle: Allensbacher Archiv, IfD-Umfrage 6182

»Die Ergebnisse der Studie zeigen deutlich, dass Entbürokratisierung mehr ist als die Streichung einiger Paragrafen«, fasst Schmidt zusammen. Sämtliche Vorgaben für die Wirtschaft müssten auf den Prüfstand gestellt und hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit und der Praktikabilität bewertet werden. Darüber hinaus müssten die Verwaltungsabläufe verschlankt und Antrags- und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden. Entscheidend sei aber etwas anderes, wie Schmidt betont: »Wir können uns noch weitere Jahre regelmäßig in die Hand versprechen, unsere Staatsverwaltung zu verschlanken. Wenn sich unsere Mentalität hinsichtlich der herrschenden, übertriebenen Regulierungsneigung nicht schnell dramatisch ändert, werden wir bei der Entbürokratisierung keine Fortschritte erzielen und wird unser Standort weiterhin einen gravierenden Wettbewerbsnachteil haben.«